Wenn ihr schon eine Geschichte gefunden habt, die ihr erzählen möchtet – Glückwunsch!

Wenn es euch in den Fingern juckt, ihr aber noch nicht so recht wisst, wo ihr anfangen sollt; oder ihr gerade eine Geschichte beendet habt, und nicht wisst, wir ihr weitermachen sollt, dann seid ihr hier genau richtig.

Noch einmal: Hier geht es nicht darum, wie in einem klassischen Schreibkurs, sich eine Idee auszudenken, Mindmaps zu erstellen und den ganzen Plot in Stichpunkten vorzuplanen. Das mag für manche Schriftsteller und Geschichten super funktionieren. Aber wir kümmern uns um die schüchternen, freiheitsliebenden Geschichten, die sich nicht gerne auf einen Rutsch offenbaren. Wir sehen eine Geschichte wie eine ängstliche Katze am Straßenrand und warten geduldig ab, während sie sich uns in ihrer eigenen Geschwindigkeit nähert.

Das bedeutet, dass sich nichts erzwingen lässt, und die Inspiration in den allerunmöglichsten Momenten zuschlagen kann. Es kann also nicht schaden, zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Notizbuch mit Stift griffbereit zu haben.

Das bedeutet aber nicht, dass man nicht trotzdem etwas dafür tun muss. Denn gerade ängstliche Katzen haben die Angewohnheit, sich gerne einmal zu verstecken. Man muss also mit offenen Augen und offenem Herzen durch die Welt gehen, um die Inspiration nicht aus Versehen zu übersehen.

Wie sieht das aber in der Praxis aus? Nehmen wir als Beispiel einen ganz normalen Arbeits- oder Schultag. Ihr steht auf, zieht euch an, und macht euch auf den Weg. Im Zug oder Bus hört ihr vielleicht Musik und bei einer bestimmten Liedzeile müsst ihr plötzlich an eine Meerjungfrau denken, die eine Perle in der Hand hält. Oder ihr sitzt schon im Büro vor dem PC und beantwortet gerade E-Mails von Geschäftskunden, als euch plötzlich der Begriff „Wolfsaugen“ durch den Kopf zischt. Vielleicht liegt ihr aber auch schon abends im Bett und wartet eigentlich darauf, endlich einzuschlafen, als ihr auf einmal denkt, im Regen vor dem Fenster eine feierliche Melodie auszumachen.

Die Gedanken gehen manchmal die merkwürdigsten Wege, und oft neigt man dazu, solche kurzfristigen Gedankensprünge zu ignorieren. Aber hinter jedem davon könnte sich eine Geschichte verstecken. Diese Momente sind unser Funkeln in der Dunkelheit, wenn die Lichtreflexe in ihren Augen eine versteckte Katze verraten. Und anstatt einfach weiterzugehen, halten wir einen Moment inne, gehen in die Knie und bieten der Katze die Hand an.

Oder etwas weniger bildlich gesprochen: Schreibt diese Momente auf und nutzt sie als Ausgangspunkt für einen ersten Erzählmoment. Dabei ist es auch vollkommen in Ordnung, wenn erst einmal nur einige wenige Zeilen auf dem Papier stehen und dann lange nichts mehr passiert. Manchmal werden Geschichten schneller zutraulich, und ein andermal brauchen sie ewig, um aus sich herauszukommen. Aber wenn ihr schon einmal wisst, wo sie sich am liebsten verstecken und von da an Augen und Ohren offen haltet, ohne sie zu etwas zwingen zu wollen, sollte die nächste Inspiration nicht lange auf sich warten.

Für den Beginn schmücken wir also nur diese eine Szene aus – den Moment – das Bild – oder den Charakter – und bauen darauf auf. Je länger die Geschichte wird, umso mehr organisatorischen Aufwand muss man nach und nach betreiben. Bis dahin kann es aber nicht schaden, einige dieser Erzählmomente zu sammeln und das Vertrauen der Geschichte zu gewinnen.

Wie beim Erlernen einer neuen Sprache fängt alles mit Zuhören an. Also geht raus, hört aufmerksam hin und seht, ob ihr ein Funkeln im Gebüsch entdeckt.

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