Träume können wunderbar sein oder schrecklich. Spannend oder langweilig. Verwirrend oder erleuchtend. Aber die meisten Träume haben eines gemeinsam: Sie täuschen uns unverschämt glaubhaft vor, dass sie wahr sind. Deswegen fürchten wir uns in Albträumen und sind manchmal desorientiert, wenn wir mitten im Traum aufwachen.

Manche Menschen können ihre Träume aber als solche erkennen und kontrollieren. Sie können das Bewusstsein mit auf die Ebene des REM-Schlafes nehmen und die erfundene Welt beeinflussen. Das ist die größte Magie (im Sinne der klassischen Fantasy ;) ), die wir erfahren können, und gleichzeitig eine Fähigkeit, die wirklich jeder erlernen kann.

Die folgende Anleitung stammt aus meinem eigenen Lernprozess mit Lucid Dreaming (ich finde den englischen Begriff schöner als das Deutsche „Klarträumen“). Im Internet kursieren unzählige Anleitungen dazu, die meisten greifen aber auf mehrere Wecker in derselben Nacht zurück. Da mir persönlich ein langer, ungestörter Schlaf aber sehr wichtig ist, kommt diese Methode für mich nicht infrage.

Die Technik, die schlussendlich meine dahingehende Lernresistenz beendet hat, lässt sich ganz leicht erlernen. Sie funktioniert „so nebenbei“ und erfordert kein Aufwachen mitten in der Nacht oder lange, langweilige Konzentrationsphasen. Ihr könnt das Lucid Dreaming dann nutzen, um zum Beispiel Albträume in etwas Schöneres zu verwandeln, zur Meditation und Selbstfindung, oder einfach nur zum Spaß. Ich finde es ist so oder so eine angenehme Bereicherung der sonst so unproduktiven Nächte.

Ein Disclaimer vorweg: Sowohl der Lernprozess, als auch das Lucid Dreaming selbst kann in seltenen Fällen psychische Beschwerden auslösen, da es sich auf die Schlafqualität und die Wirklichkeitswahrnehmung auswirken kann. Solltet ihr dahingehend vorbelastet oder anfällig sein, lasst es also lieber bleiben. Und solltet ihr an irgendeinem Punkt eures Weges Symptome von Depressionen, Schlafstörungen oder Derealisation bemerken, brecht die Übungen sofort ab und sucht einen Arzt auf, falls es nicht besser wird. Eure Gesundheit steht immer an erster Stelle, und auch für euch gibt es noch genug andere Magie in der Welt zu entdecken.

Der (Lern-)Prozess des Lucid Dreaming besteht aus 3 Grundbausteinen: Reality-Checks, Kontrolle, Dokumentation.

Alles beginnt mit den Reality-Checks. Sie sind dazu da, den Traum als solchen zu entlarven. Es gibt unzählige verschiedene, doch bevor ihr euch für einen entscheidet, erinnert euch erst an wiederkehrende Motive eurer bisherigen Träume. Ein Beispiel: Ich träume öfter davon, dass ich unter Wasser atmen kann. Deswegen funktioniert der Nase-zuhalten-Check bei mir besonders gut. Es genügt allerdings nicht, sich diese Checks einmal durch den Kopf gehen zu lassen und dann ins Bett zu gehen. Träume sind ein sehr unterbewusster Prozess. Sie verarbeiten, was man am Tag erlebt hat. Deswegen empfiehlt es sich, auch tagsüber an der Realität zu zweifeln. Die meisten Reality-Checks sind sehr alltagstauglich und lassen sich gut auf dem Weg zur Arbeit, unter der Dusche, oder abends vor dem Fernseher testen. Je öfter sie eingesetzt werden, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass euer Traum-Ich sie ebenfalls übernimmt und somit den Traum entlarven kann.

Einige Reality-Checks als Beispiel:

  • Nase zuhalten: Legt euch eine Hand über den Mund und haltet euch mit Daumen und Zeigefinger die Nase zu, sodass ihr keine Luft mehr bekommt, auch wenn ihr es versucht. Das haltet so lange durch, bis es unangenehm wird (nicht übertreiben, bitte!). Das kann schon einmal eine Minute dauern. Im Traum werdet ihr spätestens nach der Hälfte der Zeit einfach unbeschwert weiter atmen.
    Wirksamkeit: HOCH
    Alltagstauglichkeit: HOCH
  • Verschwommene Hände: Schaut aus sehr kurzer Entfernung auf eure Hände. Im Traum kann es passieren, dass sie verschwimmen oder sich nicht richtig darstellen. Ein sechster Finger vielleicht, oder sie werden durchsichtig, probiert es aus und berichtet. Allerdings ist bei diesem Check die Aussagekraft nicht sehr gut. Es besteht die Gefahr, dass ihr den Traum nicht erkennt. Also lieber nicht in Albträumen einsetzen!
    Wirksamkeit: NIEDRIG
    Alltagstauglichkeit: HOCH
  • Lesen und Schreiben: Das Unterbewusstsein ist flüchtig. Deswegen eignen sich besonders statische Dinge gut für Reality-Checks. Wenn die Situation es anbietet, dann versucht einen Satz, z. B. in einem Buch zu lesen. Ergibt er Sinn? Dann lest ihn ein zweites Mal. Ist es immer noch derselbe Satz? Haben sich vielleicht Wörter verändert oder verschoben? Spätestens nach dem dritten oder vierten Lesen solltet ihr ein Ergebnis erreichen. Auch einzelne Wörter, z.B. von Straßenschildern eignen sich. Lest das Wort und merkt es euch. Dann lest jeden Buchstaben für sich. Fügen sie sich zu dem Wort zusammen? Wenn es ein Traum ist, solltet ihr nur sinnlosen Buchstabensalat erkennen.
    Auch das Schreiben kann verschiedene Effekte hervorrufen. z.B. kann es sein, dass ihr einen Stift in die Hand nehmt und plötzlich nicht mehr wisst wie man ihn benutzt. Oder dass ihr etwas schreiben wollt, aber nur gekritzel entsteht. Oder dass ihr nur sinnlose Striche macht, aber trotzdem ein Satz herauskommt.
    Wirksamkeit: MITTEL
    Alltagstauglichkeit: MITTEL

Es gibt noch viele andere dieser Reality-Checks. In den Spiegel sehen, in die Luft springen, analoge Uhren lesen, einfache Mathematik, etc… Aber bevor ihr das Internet danach fragt, überlegt euch selbst etwas, was zu euch und euren Träumen passt. Das verknüpft mehr Synapsen und macht die Übertragung ins Unterbewusstsein leichter.

Habt ihr nun einen Reality-Check gefunden, der für euch funktioniert, steht ihr gleich vor der nächsten Herausforderung: Die Kontrolle. Denn mit großer Macht kommt große Verantwortung. Und der Weg von unterbewusst ausgeführten Reality-Checks hin zu einer bewussten Manipulation der Traumwelt ist weit. Häufig kann es sogar passieren, dass der Eintritt des Bewusstseins in den Traum euch so „erschreckt“, dass ihr aufwacht. Deswegen empfiehlt es sich, die Checks immer im ausgeglichenen Zustand zu machen, und auch tagsüber wirklich damit zu rechnen, dass ihr träumt. Das mag am Anfang schwierig erscheinen, verringert aber ganz erheblich die Gefahr vom Traum so überrascht zu werden, dass man aufwacht.
Hat der Check funktioniert und ihr seid immer noch im Traum, könnt ihr euch austoben. Versucht doch einmal, zu fliegen, mit oder ohne Flügel, das ist eurer Vorliebe und Fantasie überlassen. Das Fliegen ist eine der leichteren Manipulationen und kann den Grundstein für Größeres legen. Fortgeschrittene Lucid Dreamer können den Traum vollständig verändern, ganze Welten erbauen und jede Person treffen, die man sich nur denken kann. Ihr könnt so aus einem Albtraum einen angenehmen machen oder aus einem langweiligen einen spannenden. Alles ist möglich, was die Fantasie hergibt. Und seid euch nicht zu schade, auch während dem Traum immer wieder die Reality-Checks zu machen. Meistens führen diese dann zu einem „Juhuu, ich träume noch!“

Der letzte Schritt kommt nach dem Aufwachen: Die Dokumentation. Führt ein Traumtagebuch. Das liegt am besten immer mit einem Stift griffbereit neben dem Bett. Nach dem Aufwachen wird dann als allererstes aufgeschrieben, woran ihr euch erinnert. Besonders am Anfang solltet ihr euch dabei vor allem auf das WIE konzentrieren. Welcher Reality-Check hat den Traum entlarvt? Welche Techniken habt ihr verwendet um ihn zu manipulieren? Wenn ihr sicherer im Umgang mit dem Lucid Dreaming werdet, könnt ihr euch dann mehr auf die Handlung des Traumes konzentrieren, Checks und Techniken sollten aber immer mindestens in Stichpunkten erwähnt werden.
Das Traumtagebuch dient nicht nur dazu, sich länger und besser an den Traum zu erinnern. Es bewirkt auch, dass das Bewusstsein länger in der Traumlandschaft verweilt und somit der Wiedereintritt erleichtert wird. Und wenn es einmal nicht klappen will, könnt ihr dort nachlesen, wie ihr bisher erfolgreich wart.

Manchmal hat man das Gefühl „nicht“ geträumt zu haben. Das ist aber ein Irrtum. Jeder Mensch träumt in jeder Nacht. Nur je nachdem in welcher Schlafphase man aufwacht, kann man sich nicht immer daran erinnern. Manchmal wird daher dazu geraten, sich während der Nacht verschiedene Wecker zu stellen, vor allem zu Beginn der Lernphase. So wird die Chance erhöht, während der wichtigen REM-Phasen aufzuwachen und sich besser an den Traum zu erinnern. Ich persönlich habe jedoch die Erfahrung gemacht, dass Wecker den Traum eher unangenehm unterbrechen und den Lernfortschritt mehr behindern als beschleunigen – mal ganz abgesehen davon, dass Durchschlafen einfach schöner ist. Meine Empfehlung lautet deswegen: Beschäftigt euch besonders intensiv mit Lucid Dreaming, wenn ihr lange ungestört ausschlafen könnt, also am Wochenende oder im Urlaub. Besonders der Halbschlaf oder Dämmerschlaf während dem langsamen Aufwachen hat sich bei mir bewährt. Manchmal, wenn mir ein Traum besonders gut gefällt drehe ich mich dann einfach noch einmal um und schlafe noch ein halbes Stündchen länger. In den allermeisten Fällen kann ich so in denselben Traum zurückkehren und ihn so noch länger genießen.
Ein weiterer Vorteil dieser Methode ist, dass es euch manchmal gelingen kann „bewusst einzuschlafen“, also dass ihr die Kontrolle gar nicht erst abgeben müsst, sondern den Traum schon von weitem kommen seht. Das mag am Anfang befremdlich sein, aber da ihr das Einschlafen ja grade bewusst miterlebt habt, erübrigen sich die Reality-Checks und ihr könnt sofort den Traum genießen.

Ihr seht, es braucht nur ein wenig Geduld und Übung, und schon bald könnt auch ihr im Schlaf Drachen reiten, den Meeresboden erforschen und alles, was euch sonst noch einfällt. Lasst eurer Fantasie freien Lauf!

Viel Spaß!

… und gute Nacht!

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