In der Leserunde bei Lovelybooks kam immer wieder die Frage auf, was es eigentlich mit Saphira auf sich hat.
Wie kommt es, dass die „lebende Legende der Allianz“ so vertrauensselig ist? Warum lädt sie Fremde in ihr Haus ein, wenn sie doch so zurückgezogen lebt? Was ist ihre Beziehung zu den Altmagiern und was hat das Buch bei ihr verloren?

Ohne zu viel verraten zu wollen kann ich sagen: Die Antworten auf all diese Fragen hängen mit der Funktion zusammen, die Saphira in der Geschichte erfüllt – und sind eigentlich ganz einfach.

Waldkinder sind von Natur aus außerordentlich gastfreundlich und gerade bei einer so starken magischen Begabung, wie Saphira sie besitzt, wirkt sich das Element besonders auf den Charakter aus. Sie hat also kaum eine andere Wahl, als Melenis zu sich nach Hause einzuladen und später sogar dem Dieb Unterkunft zu gewähren. Waldkinder sind warmherzig, fürsorglich und voll unvoreingenommener Nächstenliebe. Saphira ist da keine Ausnahme.

Der Wald bei Lunaris ist ihre Heimat und ihre Familie. Sie lebt dort nicht, weil sie alle Menschen hasst, sondern weil sie die Sprache des Waldes spricht und sich daher den Bäumen dort besonders verbunden fühlt. Sie hat dort alles, was sie braucht und keinen Grund, die friedliche Abgeschiedenheit gegen ein hektisches Leben in der großen Stadt einzutauschen. Trotzdem zieht sie als „die komische Einsiedlerin, die allein in einer Hütte im Wald lebt“ viele Gerüchte an. Mit der Zeit werden die Spekulationen immer wilder und so wird aus einer gar nicht mal soo ungewöhnlichen Waldhexe eine lebende Legende.

Saphira ist also ein Symbol dafür, wie die erzählte Welt mit ihren Legenden umgeht. Sie werden über die Zeit und durch die vielen Stimmen, die sie erzählen, verzerrt, gekürzt und ergänzt. Saphira ist gerade einmal 60 Jahre alt und schon ranken sich um sie Gerüchte, sie würde seit Jahrhunderten dem Wald Blutopfer darbringen, um unsterblich zu werden. Wenn diese kurze Zeit schon ausreicht, um den wahren Kern von Saphiras Geschichte so sehr zu verzerren, was ist dann erst von älteren Legenden zu erwarten?

Oder … liegt vielleicht genau da der Irrtum? Wer weiß schon, wie alt Saphira wirklich ist? Wer kann schon sagen, was sie wirklich tut, wenn sie angeblich zum „Kräutersammeln“ in den Wald geht? Sie selbst behauptet von sich, eine harmlose, 60-jährige Waldhexe zu sein. Aber kann man ihrem Wort überhaupt trauen, wenn sie seit fast tausend Jahren einem falschen Gott huldigt und im Austausch für fremdes Blut ihre verbotene Magie wirkt? Was ist der wahre Kern und wem soll man noch glauben?

Saphira ist sozusagen ein Stilmittel und eine Erinnerung daran, in welcher Beziehung Leser und Erzähler hier stehen. Denn im Liber haben wir es mit einer Form des unzuverlässigen Erzählers zu tun, und alles was wir lesen, müssen wir sorgsam abwägen. Genaueres zu diesem Erzählertyp gibt es im entsprechenden Teil des kleinen Schreibkurses. Zusammenfassend kann man aber sagen:
Wir erleben eine Welt, in der Traum und Wirklichkeit nah beieinanderliegen.
In der Tatsachen oft wie Fantasiegebilde erschienen, die wir uns nicht erklären können.

Könnt ihr Wahrheit und Lüge unterscheiden?
Dazu müsst ihr über euer Denken hinausgehen und euren Geist dem Unglaublichen öffnen.

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